Vom Burnout zurück ins Leben

Der Begriff ist in aller Munde. Doch wie es sich anfühlt, wissen nur die wenigsten. Zwei Mitarbeiter von Swisscom erzählen von ihrem Burnout.

Es begann mit Schmerzen in seiner Brust. Während drei Tagen schliefen seine Arme immer wieder ein. Dann, an einem Abend, stürzte Kurt die Treppe hinunter. Sein Körper begann unkontrolliert zu zittern. Arme und Beine schlotterten, das Stechen in seiner Brust nahm zu. Kurt konnte kaum noch hören, kaum noch sprechen. Der Notarzt kam und brachte ihn ins Krankenhaus. Bluttests und ein EKG folgten. Am nächsten Morgen eröffnete ihm der Arzt, dass er körperlich kerngesund sei. Kurt hatte ein Burnout. Kurt hätte nie geglaubt, dass ihm so etwas passieren könnte. Er, der gerne Kollegen unterstützte, wenn sie nicht mehr weiterkamen. Seine Schultern waren immer stark genug, um jede Last zu tragen. Feuerwehr, Vereine, Freunde, Beziehung, seine Projekte bei Netz & IT – überall lief es prächtig. Aber genau dieser Typus Mensch ist am meisten gefährdet.

Panikattacke im Supermarkt

Auch Adrien gehörte zu diesem Typus. Er wollte in seinem Job konstant Leistung zeigen, seine Mitarbeiter und den Chef nicht enttäuschen. Nein zu sagen, kam nicht in Frage. Doch die vergangenen zehn Jahre hatten ihn belastet: den Wohnort über die Landesgrenze hinaus gewechselt, ein neuer Job, ein eigenes Team, kein Team mehr, wieder ein Team. All das hatte Spuren hinterlassen. Keine sichtbaren, aber spürbare.

Im Frühling 2009 begannen die Symptome. Obwohl er konstant müde war, blieben von seinen üblichen acht bis zehn Stunden Schlaf maximal zweieinhalb übrig. Seine Gedanken rotierten pausenlos. Jeden Morgen, wenn er zur Arbeit fuhr, hatte er Bauchkrämpfe. Dann folgten die Panikattacken, mitten im Supermarkt. Als ob jemand mit ganzer Kraft seine Brust zusammendrückte. Am Ende litt Adrien unter Gedächtnisverlust: Während des Kochens vergass er, welche Zutaten er bereits dazugegeben hatte. Sein Partner stellt sich vor ihn hin und sagte: «Ich erkenne dich nicht mehr. Du musst etwas tun.»

Kurt hatte keine Symptome. Als ihm die Ärzte im Krankenhaus Anfang 2009 sagten, er müsse in seinem Leben grundlegend etwas ändern, fragte er sich: Was? Gestresst gefühlt hatte er sich nicht, sein Zusammenbruch kam aus heiterem Himmel. Doch er realisierte: Von morgens früh bis nachts um zwei Uhr kümmerte er sich um alle anderen, nur nie um sich selbst. Er sprach mit seinem Chef darüber, wurde für zwei Monate arbeitsunfähig erklärt. Seine Kollegen konnten nicht glauben, dass er ein Burnout hatte. «Doch nicht der Kurt!» Während seiner Auszeit von zwei Monaten meldeten sich Bekannte bei ihm, ob er ihnen bei diesem und jenem helfen könne, er habe ja jetzt Zeit. Diese Namen strich er aus seinem Adressbuch, aus seinem Leben. Sie hatten überhaupt nichts begriffen.

Erholung vom Burnout, aber nicht von sich selbst

Adrien wurde klar, dass mit ihm etwas nicht mehr stimmte. Er erzählte Social Services, der Sozialberatung von Swisscom, von seinen Beschwerden. Die Sozialberaterin sagte: «Du brauchst eine Auszeit. Wenn nicht, wirst du explodieren.» Er sprach mit seinem Chef, er sprach mit einem Psychotherapeuten. Alle sagten sie dasselbe. Zuerst schaltete er sein Handy aus. Schluss mit Google News um halb zwei Uhr nachts. Im ersten Monat konnte er noch immer nicht schlafen, studierte an seinem Team, seinen Aufgaben herum. Nur ein Antidepressivum vom Arzt half weiter. Im zweiten Monat erholte sich Adrien von seinem Burnout – aber nicht von sich selbst. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er Zeit, über sich nachzudenken. Alles schmerzte ihn seelisch. Duschen, Kaffee kochen, mit jemandem reden. Sein Psychotherapeut diagnostizierte einen depressiven Zustand. Was die Leute von ihm wahrnahmen, war nur ein Schatten seiner selbst. Er dachte an Selbstmord. Mehrmals.

Langsam fand er Schritt für Schritt zu sich selbst zurück, begann wieder zu arbeiten – anfänglich mit 50 Prozent und dann immer mehr. Er erzählte seinen Kollegen offen, dass er ein Burnout hatte. Die meisten zeigten Verständnis. Aber nicht alle. «Du hast Swisscom zwei Monate gekostet», sagten die einen, «ein zusätzliches Sabbatical», sagten andere. Er konnte nur sagen: «Ich hoffe, dass es euch nicht passiert.»

Inspiration für Kollegen

Kurt war froh, nach zwei Monaten wieder zu Swisscom zurückzukehren, wieder zum System zu gehören. Auch er begann mit einem 50-Prozent-Pensum. Er bekam ein Projekt, das ihn zwar forderte, aber nicht unter Zeitdruck setzte – für ihn der ideale Wiedereinstieg. Doch nach einiger Zeit merkte er, dass er sein Leben noch nicht komplett aufgeräumt hatte. Kurt meldete sich bei einem Psychologen. Er war froh, mit einer neutralen Person über sein Leben sprechen zu können, sich selbst besser kennenzulernen. Sein Leben hat Kurt komplett umgestellt. An Wochenenden nimmt er nur noch eine Einladung an, damit er vermehrt spontan seinen Bedürfnissen folgen kann. Bei der Feuerwehr hat er aufgehört. Und er fragt sich immer wieder: Bin ich auf dem richtigen Weg und mache das, was ich will? Trotz allem hatte sein Burnout auch etwas Positives: Es inspirierte seine Arbeitskollegen dazu, ihr eigenes Leben zu überdenken. Adrien veränderte drei Punkte in seinem Leben, um sich selbst zu schützen. Im Job setzte er klare Grenzen: Er gab seine Führungsaufgabe ab und lernte, Nein zu sagen. Die Leute sagen, er sei weniger freundlich, aber erwachsener. Privat suchte er sich ein Hobby, das seiner Seele gut tut – eine Schreibgruppe für Poesie und Prosa. Und er geht heute mehr spazieren, löst sich von der digitalen Welt. Seit Juni 2010 ist er nicht mehr krank, sagt er, zum Schlafen braucht er vorläufig noch eine halbe Tablette des Antidepressivums. Aber er sei nicht Superman und könne wieder fallen.

Die Namen der Betroffenen wurden geändert

Jahr: 2011
erschienen im Mitarbeitermagazin von Swisscom